Stärkung des Körper- und Selbstwertgefühls
Liebe Leserinnen und Leser,
stellt euch vor: Ihr befindet euch auf einem verschneiten Gipfel, die Sonne strahlt vom Himmel und eure Augen gleiten über den funkelnden Schnee. Willkommen in der faszinierenden Welt des alpinen Skisports, die Menschen mit und ohne Behinderungen gleichermaßen in ihren Bann ziehen kann.
Skifahren: Begeisterung pur
Mit diesem Blog-Eintrag möchte ich euch ermutigen, diesen genialen Sport zu erlernen. Beim Skifahren entwickelt ihr nicht nur eure körperlichen Fähigkeiten weiter, sondern könnt auch euer Selbstvertrauen stärken und neue Freundschaften knüpfen. Mit entsprechender Übung kann das Skifahren auch für Menschen mit Behinderungen eine Quelle der Kraft, des Abenteuers und der Freude sein. Sobald ihr euch nicht mehr auf jede einzelne Kurve konzentrieren müsst, könnt ihr das Gefühl erleben, beim Gleiten durch den glitzernden Schnee in einen Flow zu kommen. Dann ertappt ihr euch dabei, wie ihr auf einmal jauchzt oder fröhlich ein Lied trällert. Und erst abends merkt ihr, wie körperlich aktiv ihr wart.
Skifahren: Der ultimative Sport
Dass sportliche Bewegung den Körper und Geist fit hält und auch wieder in Schwung bringen kann, ist hinlänglich bekannt. Skifahren macht nicht nur Spaß, sondern ist auch ein ganzheitlicher Sport und schult insbesondere den Gleichgewichtssinn und die Koordination. Mittlerweile ist das Skifahren als Gesundheits- und Seniorensport akzeptiert. Es bietet die einzigartige Möglichkeit, gleichzeitig die Natur zu genießen, den Geist zu entspannen sowie die körperliche Fitness zu trainieren. Damit wird das psychische Wohlbefinden gesteigert, das Herzkreislaufsystem gefördert sowie der aktive und passive Bewegungsapparat bis ins hohe Alter in Schwung gehalten.
Warum empfehle ich das Skifahren so stark? Sicherlich, weil ich es selbst faszinierend finde, aber tatsächlich auch deswegen, weil das alpine Skifahren eine der wenigen Sportarten ist, in der Menschen mit und ohne Behinderung nahezu gleichwertig ihre Freizeit verbringen können. Somit können Familien und Freundesgruppen zusammen die Freude teilen. Und das Beste ist, dass so gut wie jeder den Skisport ausüben kann. Es ist erst einmal egal, ob du im Rollstuhl sitzt, ob du nur eingeschränkt laufen kannst (z.B. bedingt durch eine Hemiparese), ob dir ein Arm oder Bein fehlt oder ob du stark sehbehindert bzw. blind bist. Alle sind im Parasport Ski Alpin bestens aufgehoben.
Skifahren: Drei Parasport-Disziplinen
Unterteilt wird der Parasport Ski Alpin in die Bereiche Blindenskilauf, stehender Skilauf und sitzender Skilauf. In diesem Blog-Eintrag gebe ich kurz einen Überblick über alle drei Disziplinen und beschreibe dann den sitzenden Skilauf etwas genauer. Zudem gebe ich euch praktische Tipps und Informationen, die euch beim Einstieg in den Para-Skisport helfen können. In weiteren Blog-Einträgen werde ich auch noch auf die anderen Disziplinen näher eingehen.
Blindenskilauf
Beim Blindenskilauf fährst du im Team mit einem Guide: dein Guide fährt voraus und du möglichst genau in seiner/ihrer Spur hinterher. Per Lautsprecher oder Funk gibt dir dein Guide dabei fortlaufend Kommandos und leitet dich so die Piste hinunter. Gerade bei vollständig blinden Sportlern ist das entscheidend – sie folgen der Tonspur ihres Guides. Je mehr du noch erkennen kannst, seien es auch nur Schatten oder Umrisse, desto mehr kannst du dich auch visuell an deinem vorausfahrenden Guide orientieren.
Stehender Skilauf
Der stehende Skilauf deckt einen umfangreichen Bereich von Behinderungen ab, so zum Beispiel Amputationen an den oberen oder unteren Extremitäten, aber auch neurologische Störungen wie die infantile Zerebralparese, Autismus oder auch Trisomie 21. Auch Menschen mit Kleinwuchs können in der Regel stehend fahren. So unterschiedlich die Behinderungen sind, so individuell sind die Vorgehensweisen. Mit einer pragmatischen Herangehensweise kann man viel ermöglichen. Wie oben geschrieben, gehe ich auf die vielfältigen Möglichkeiten in einem separaten Blog-Eintrag ein.
Sitzender Skilauf
Für den sitzenden Skilauf gibt es im Wesentlichen zwei Gerätearten: Bi-Skis und Monoskis. Für das Fahren mit dem Bi-Ski gibt es keine wirklichen Voraussetzungen. Je schwerer die Behinderung, desto passiver ist die eigene Bewegungsausführung. Relevante Handicaps beim Bi-Ski sind: Tetraplegie, Tetraspastik, Mehrfachamputationen, Gleichgewichtsstörungen, Multiple Sklerose und Muskeldystrophie.
Der Bi-Ski zeichnet sich durch eine feste Sitzschale auf zwei Skiern aus. Je nach Behinderungsgrad und Körpergröße haben wir verschiedene Geräte mit entsprechend unterschiedlichen Schalen. Auch die Gestelltechnik samt Verbindung zu den Skiern variiert. Alle haben einen Schiebebügel hinten, so dass wir auch mit schwerstbehinderten Personen über die Pisten fahren können. Wenn man nach einer Abfahrt in deren Gesichter schaut und sieht, wie diese vor Glück strahlen, ist das immer wieder ergreifend. Ich kann nur alle Betreuenden ermuntern, ihren Schützlingen das zu ermöglichen.
Bi-Skis werden aber auch von Menschen benutzt, die noch komplett oder in Teilen selbstständig fahren können. Durch Verlagerung des Oberkörpers lässt sich ein Bi-Ski „auf die Kante bringen“, so dass er entsprechend der Ski-Taillierung eine Kurve fährt. Um ein Umkippen des Bi-Skis auch bei selbstständiger Fahrt zu vermeiden, kann am Gerät ein Ausleger angebracht werden. Das sind kurze Skier, die seitlich am Gerät herausragen, ganz ähnlich wie Stützräder an einem Fahrrad. Aus Sicherheitsgründen ist es ratsam, dass auf jeden Fall jemand direkt hinterherfährt, um ggf. stabilisierend am Bügelgriff einzugreifen.
Der Monoski benutzt im Gegensatz zum Bi-Ski nur einen Ski – das erlaubt deutlich sportlicheres Fahren, macht ihn aber auch merklich instabiler. Das Ziel im Monoski ist in der Regel das eigenständige Fahren. Voraussetzungen sind eine gute Rumpfstabilität, Funktion in den oberen Extremitäten und im optimalen Fall eine Greiffunktion der Hände. Somit sind die relevanten Handicaps Paraplegie, im Einzelfall auch Tetraplegie, Spina bifida (in leichteren Fällen), Polio (in leichteren Fällen), Diplegie und Amputation an beiden unteren Extremitäten.
Ein Monoski-Gerät besteht aus drei Komponenten: Einem Standard-Ski mit einer Rennsportbindung, einem Gestell mit Federung und Dämpfung sowie einer zweiteiligen und damit in der Rückenneigung regulierbaren Sitzschale. Alle drei Elemente werden auf die Sportler*innen angepasst. Kriterien sind Körperabmessungen, Sportlichkeit und gewünschte Fahrweise, letztendlich wie beim stehenden Skilauf auch. Die Einsteigergeräte haben zusätzlich einen Haltebügel, so dass Anfänger*innen sich an das Gerät gewöhnen können, während ihre Begleiter*innen sie stabilisieren bzw. bei entsprechendem Fortschritt nur noch bei Bedarf eingreifen können.
Zur Unterstützung des Gleichgewichts und zum Einlenken in Kurven werden Krückenski verwendet. Der Name ist Programm: an einer, in diesem Fall sehr kurzen, Krücke ist ein einklappbarer Ski am Ende montiert. Das Fahren wird in gleicher Vorgehensweise vermittelt wie beim stehenden Skilauf. Genau wie gute Skifahrer*innen nicht vom Himmel fallen, braucht auch eine Person, die Monoski fährt, Geduld, Übung und eine gute Anleitung. Im nächsten Kapitel zeige ich dir auf, wo du Unterstützung bekommst.
Skifahren: Inklusion – wer hilft?
In Nordrhein-Westfalen gibt es neben einigen Angeboten für Gruppenreisen und wenigen Einzelpersonen wie Bernd Moelich und mir den SKI-TREFF in Neuss (siehe ski-treff.de), bei dem ich regelmäßig mitwirke (genau wie Bernd Moelich übrigens). Unsere Mission beim SKI-TREFF ist es, dass viele Familien die Möglichkeit erhalten, wieder gemeinsam einen Sport-Urlaub zu verbringen. Darüber hinaus verhelfen wir vielen Personen zu neuem Selbstvertrauen, Freude an der Bewegung oder auch einfach nur zu einem Lächeln.
Wir sind ehrenamtlich agierende Instruktoren, Skilehrer, Begleiter und Guides und treffen uns einmal im Monat – in den Wintermonaten in Winterberg und im restlichen Jahr in der Skihalle Neuss. Es erscheint vielleicht verrückt, auch im Sommer Ski zu fahren, doch zu dieser Jahreszeit ist die Skihalle schön leer und eignet sich damit ideal für entspanntes Fahren und Trainieren. Und da sich der gesamte Alpenpark Neuss durch eigene nachhaltige Stromproduktion auf dem Weg zur Klimaneutralität befindet, können wir dies auch mit gutem Gewissen tun. Zudem unterstützt uns der Betreiber bei unserer Mission durch stark vergünstigte Eintrittspreise.
Mit entsprechender Anmeldung kann jede*r am SKI-TREFF teilnehmen, egal ob absoluter Anfänger oder Könner, ob sitzend, stehend oder sehbeeinträchtigt. Ambitionierte Fortgeschrittene vermitteln wir gerne weiter an den Nachwuchskader NRW. Für die Ehrgeizigen bieten sich die nächsten Paralympischen Spiele im Jahr 2026 in Cortina D’Ampezzo als Ziel an, spätestens aber die Spiele 2030.
Wer erst einmal alleine in das Monoskifahren hineinschnuppern möchte, ist bei Bernd Moelich (www.monoskisport.de) bestens aufgehoben.
Enden möchte ich für den Moment mit einem Zitat der deutschen sehbehinderten Skirennläuferin Noemi Ristau: „Nach meiner Erkrankung bekam ich durch das Skifahren mein Körpergefühl wieder. Heute bedeutet es für mich vor allem Freiheit, Glücksgefühl und Lebensfreude. Durch dieVerbindung mit meiner Guide kann ich wieder ‚sehen‘. Alles ist möglich, gemeinsam sind wir stark!“
Zu meiner Person:
Ich fahre schon seit 50 Jahren Ski. Aber erst meine Mitarbeit beim SKI-TREFF in Neuss, dem Ski-Angebot für Menschen mit Behinderungen in NRW, hat mich aus meiner Komfortzone herausgehoben. Mittlerweile bin ich ausgebildeter Skilehrer und Blinden- Guide und brenne dafür, jede und jeden dazu zu ermutigen, das Skifahren auszuprobieren. Zur Zeit absolviere ich beim BVS Bayern unter Leitung des mehrfachen Paralympics-Siegers Gerd Schönfelder eine Ausbildung zum Para-Ski Alpin Instruktor (Trainer B), damit ich ab November 2023 auch im sitzenden Skisport und in den stehenden Klassen kompetent unterrichten kann. Wenn du mit meiner Unterstützung Skifahren lernen möchtest, melde dich gerne bei mir. Ich freue mich auf deine Nachricht! Ebenso könnt ihr mir bei Fragen oder Anregungen gerne schreiben.
Noch eine kurze Anmerkung:
Auf der kommenden REHACARE in Düsseldorf (13. – 16.09.23) stellt der Behinderten- und Rehabilitationssportverband Nordrhein-Westfalen e.V. (BRSNW) in der Halle 7a viele Sportarten vor. Unter anderem werden wir vom SKI-TREFF dort, wie letztes Jahr schon, eine mobile Skipiste aufbauen, an der sich jede*r informieren und eine kurze „Abfahrt“ erleben kann.
Bildquellen:
• Anna Schaffelhuber 2010 in Rinn: CC BY-SA 3.0, Nutzer GraceKelly auf Wikimedia Commons